…. wenn alles ganz anders läuft als man plant

Den Stab sorgfältig ausgewählt, zur passenden Jahreszeit, mit Beachtung der Mondphasen und einem zuvor an diesem Ort geschehenen Wunder, gesägt. Ich habe ihn sorgsam entrindet und die Lage in meinen Händen immer wieder überprüft, bevor ich ihn auf seine endgültige Größe zuschnitt. Da lag nun also der noch frische Stab, in meinen Händen – ja, es fühlte sich so gut an!

Nach den ersten Wochen und der voranschreitenden Trocknung begann ich ihn immer mal wieder zu schleifen. Erst mit etwas gröberem Schleifpapier die Schnittkanten, die noch hervorstehenden Astlöcher und Bastfasern.

Stunde um Stunde verbrachte ich mit meinem Stab und während das Schleifpapier immer feiner wurde, wurde mein Gefühl für diesen Laidon immer größer. Ich gab immer mehr Energie in das Holz, hütete es wie meinen Augapfel.

Der Schleifvorgang war abgeschlossen, der Stab lag perfekt in meinen Händen, dennoch war es noch nicht so weit die Runen zu ritzen. Dieser Schritt passte gerade einfach nicht – er passte auch nach einem weiteren Jahr nicht. So achtete ich weiter auf meinen Laidon und konnte den Tag der Weihe kaum abwarten. Geduld – wie sehr ich dieses Wort „liebe“…

Nach über 2 Jahren war es dann endlich so weit. Mein Lehrer Rewa Kasor besuchte mich für einen „Urlaub“… aber, was heißt schon Urlaub, wenn ich da bin!? Ich spürte, das dies die bedeutsamsten Tage sein würden für meinen Laidon-Stab.

Als es dann endlich, endlich – erwähnte ich schon, dass ich das Wort Geduld „liebe“?? – zur Sache gehen sollte erlebten wir alle eine große Überraschung.

Der Laidon ist, nach Überlieferung, ein Holzstab. Überliefert ist ebenso wie die Runen darauf geritzt werden – faserparallel, in der richtigen Reihenfolge, sorgfältig und korrekt.

Wenige Tage vor dem geplanten Ritual waren wir – Rewa und ich – in einem Krimskrams-Laden und fanden eine Holzschale. Unsauber gearbeitet, weiches, tropisches Holz mit einem leichten Anflug von Pilzbefall. Es trafen so ziemlich alle ungeeigneten Eigenschaften zusammen, die diese Schale absolut nicht für einen magischen Gegenstand in Frage kommen ließen – aber… irgendetwas hatte sie an sich und so nahmen wir sie mit. Unsere Idee dahinter war, sie als Testobjekt zu nutzen.

Auf einem herkömmlichen Laidon werden die Runenreihen parallel zueinander geritzt. In diese Schale ritzte ich die Runen im rechten Winkel zueinander, etwas das – wie wir aus der Überlieferung wissen – nicht wirklich gut funktionieren kann. Aber hier passte es eben.

Spontan entschlossen wir uns dann meinen Laidonstab endlich zu weihen, um mir den Zugriff auf das Wissen Generationen von Lehrern zu ermöglichen. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten durfte ich an dem Weiheritual aktiv teilnehmen. Wir ernannten meinen Mann zum Feuerwächter, welcher das Feuer entzündete und dafür sorgte das wir ungestört blieben.

Aus dem Haus heraus traten wir, durch den Feuernebel, an unseren Ritualplatz und ließen uns nieder. Das Feuer loderte augenblicklich auf, der Nebel umgab uns wie ein schützendes Gewand und das Ritual konnte beginnen.

Rewa erhitzte in einem gusseisernen Kessel sein Blut zusammen mit Bienenwachs, sowie einigen anderen speziellen Zutaten und sprach den Blutzauber. Schon erschien Walburga, die Walküre, welche ihn seit seiner Kindheit begleitet.

Wir opferten ein großes Stück Bernstein der Freyja, sowie etwas von Rewas Blut für die Götter. Danach wurde die erhitzte, flüssige Mischung, der Überlieferung folgend, mit einer Blankwaffe verrührt und mit einem Knochen auf die Laidon-Runen der Schale aufgetragen. Dabei bat Rewa die Walküren um ihre Unterstützung. Es dauerte nur wenige Minuten, bis durch Blut und Tränen die Laidon-Runen ihre Aktivität signalisierten.

Wir hatten es so geplant, dass die Holzschale als Demonstration des Rituals dienen, und als nächstes das eigentliche Ritual mit meinem Laidon-Stab folgen sollte – aber Walburga war anderer Meinung.

Sie forderte von uns beiden ein Opfer und so gab Rewa den Knochen, mit dem er das Blut auf die Laidon-Runen aufgetragen hatte. Zu meinem Entsetzen wollte sie auch meinen Laidon-Stab. Den Stab, der mir so ans Herz gewachsen war, der mich durch schwierige und glückliche Zeiten begleitete, der Stab, der ein Teil von mir geworden war – gefüllt mit meiner Zuneigung, Sorgfalt, Pflege und Energie. Den Stab, den ich genau für diesen Moment vorbereitet hatte.

Doch kaum griffen die Flammen nach ihm fühlte ich mich erleichtert – es war genau richtig so.

Der Stab ging Rune für Rune in Flammen auf, Walburga nahm unsere Opfer an und die Schale erhielt eine urgewaltige Energie. Rewa übergab mir die Schale mit Tränen in den Augen und einer kleinen persönlichen Botschaft für mich. Auch meine Gefühle überwältigten mich und so saßen wir noch eine Zeit am Feuer, hielten uns an den Händen und genossen die spürbaren Energien.

Bernstein, Blut, Knochen und mein Stab. Das Feuer nahm und transformierte, die Götter und Walküren nahmen unsere Opfer an – ein sehr berührendes, dankbares Gefühl, ein Knistern in der Atmosphäre, eine Magie die absolut spürbar war und noch immer ist.

Wir lösten die Verbindung, versuchten irgendwie unser Gleichgewicht wiederzufinden, blieben noch einen Moment in unserer eigenen, kleinen Welt stehen und schauten ins Feuer. Wieder im Hier und Jetzt angekommen waren wir vor Überraschung fast sprachlos. Der Verlauf des Rituals war komplett anders, als wir es geplant hatten – ebenso überrascht waren wir auch verwundert über das Ergebnis.

Ich darf nun einen besonderen Laidon, einen Wissensschatz aus Generationen von Lehrern, gefüllt mit der Kraft aus anderen Welten, zu meinen magischen Gegenständen zählen. Die Schale liegt gut geschützt mit 8 besonderen Bernstein-Stücken, welche in einer überlieferten Anordnung gelegt wurden, in meiner Sicht- und Spürweite. In der Schale ein Stück besonderer Bernstein.

Laidon und Bernstein werden, sofern er nicht im Gebrauch ist, immer zusammen sein. Eine tiefe Verbindung, aber auch ein intensiver Schutz.

Der Laidon wird in den nächsten Tagen noch einmal versiegelt und ist danach bereit für die Arbeit mit mir.

Er wird mich zu magischen Ritualen wie Eheleiten, Hausweihen, Kindsweihen, Jahreskreisfesten oder persönlichen, individuellen Ritualen begleiten. Wieder ein Puzzleteil mehr. Lernen, forschen, prüfen, entwickeln und dabei dem überlieferten Weg der Völva folgen. Voran gehen – Schritt für Schritt auf dem Pfad unserer Ahnen.

Durch dieses Ritual durfte ich mich weiter entwickeln, einen riesigen Schritt voran gehen und mit meinem besonderen Laidon werden meine künftigen Rituale auf eine andere Ebene gehoben.

Ich darf nun diesen Wissensschatz für dich und euch verwenden.

Mein Dank an die Götter

Mein Dank an die Walküren

Mein Dank an die Ahnen

Mein Dank an Rewa Kasor

Mein Dank an meinen Mann

Mariz Gawaldan